Wolf Matz

CSI NEUPERLACH: Die Schwertschluckerin



CSI NEUPERLACH:
Die Schwertschluckerin

Mein Name ist John, John Landwirt. Die nachfolgenden Ereignisse sind in Echtzeit geschrieben.

15:00:00
Ein Kaufzentrum, Nachmittag, anthrazitfarben. Vor dem McFritten liegt eine Tote.
Ich rücke meine Echthaarperücke gerade, lege die Stirn in Dackelfalten. „Also!?“
„Leiche, weiß, Anfang zwanzig, weiblich. Wahrscheinlich tot“, berichtet Mark Laren, ein Mercedes unter den Ermittlern. Er klemmt sich die Lupe vors Auge. „Wenn sie genau hinsehen, Chef, erkennen sie, dass der Frau der linke Arm fehlt. Der proximale Abschnitt über den Unterarm weist Bissspuren auf. Sie wurde von einem wilden Tier angefallen.“
„Eine Haiattacke?“, spekuliert Rosarot, unsere ostfriesische Aushilfspraktikantin.
Ich verdrehe gekonnt die Augen. „Hier, in Neuperlach, einen Stadtteil Münchens? Sehr unwahrscheinlich.“
Lässig knie ich mich neben die Frau, nehme sie von unten nach oben in Augenschein. Hohe Lacklederstiefel, kurzes Röckchen, Spagettiträgershirt bedruckt, Busen wie Dolly Buster, blutrot gefärbte Haare. Der weiße Seidenschal ist ihr über das Gesicht geweht. Ihre stocksteife Art macht mich misstrauisch. Fast so als hätte sie ein Schwert verschluckt, denke ich und entferne das Halstuch. Entdecke, dass aus ihrem Mund ein Knauf ragt. Die Frau grinst mich an.
Verflucht, ich hatte recht. Jemand hat ihr tatsächlich ein Schwert über die Speiseröhre in den Magen gerammt. Das sah verdammt nach Mord aus. Ich richte mich vorsichtig auf, unterdrücke den arthritischen Schmerz. „Rosarot!“
„John?“
„Rosarot, das ist ab sofort ein Tatort. Ich will dass du im Umkreis einer 3/8 Meile alles absperrst. Sammle jeden Kaugummi, jede Zigarettenkippe, jeden Hundehaufen. Analysiere alle verfügbaren DNA Spuren. Wir haben es hier mit einem Verbrechen zu tun.“
Jetzt ist die Gerichtsmedizin gefragt. Zum Glück kommt unsere Pathologin mit Stil schon angewackelt. Pilotenbrille, das Jerseykleid von Lakoste, die High Heels von Cartier, Haare wie Platin.
„John!“
„Hey, Brenda!“ Ich liebe ihre Art unnütze Konversationen zu vermeiden. Sie nimmt routiniert das Opfer in Augenschein. „Todeszeitpunkt: 13 Uhr 27 Minuten und 16 Sekunden. Plus/minus zwei Stunden.“
„Genaueres zum Tathergang“, frage ich.
„Sie hat als letztes ein silbernes Schwert verschluckt“, stellt unsere Gerichtsmedizinerin sachlich fest. Brenda zieht die kurze, schlanke Waffe vorsichtig aus dem Schlund und begutachte die Schneide. „Kein Blut daran. Sie wurde also nicht erstochen.“
„Die Tatortanalyse ergibt, dass das Verbrechen woanders verübt wurde“, erklärt Mark Laren und beugt sich über die Leiche. „Der abgebissene Arm könnte ein Hinweis auf den Täter sein.“ Mark Laren entfernt ein weißes Haar aus der Wunde. Er hält es mit seiner Pinzette gegen das Sonnenlicht. „Dies scheint vom Mörder zu stammen.“
„Oder von einem streunenden Haustier“, widerspricht Mammon, unser Forensiker. „Ein molekularbiologisches Analyseverfahren wird die Ursprungspopulation klären.“
Mark Laren durchwühlt die Handtasche der Toten. „Wurde die Identität des Opfers schon festgestellt“, will er wissen, „oder sollen wir sie einfach ‚Die Schwertschluckerin’ nennen?“
„Nur das nicht“, wehre ich ab. „Sprich lieber von einer Varietékünstlerin. Die Freiwillige Selbstkontrolle mag keine mehrdeutige Anspielungen!“
„Mammon drängt sich zu mir, ein Blatt Papier schwenkend. „ Ich habe das Ergebnis! Das Haar gehört einem weißen Tiger, Geschlecht männlich, neuneinhalb Jahre alt, hört auf den Namen Schnappi.“
Manchmal kann man sich nur wundern, was die Wissenschaft in der Lage ist rauszufinden. Mein Blick schweift über die Menge. Hoffentlich befindet sich der Täter nicht in der Nähe. Ich hasse es, Tiere zu erschießen.
Brenda untersucht noch immer die Leiche, gründlich und professionell wie es ihre Art ist. Sie hebt den Rock der Toten, streift den baumwollnen Schlüpfer nach unten.
„John! Dies sollten Sie sich ansehen!“
Sie deutet auf das verschrumpelte Teil.
Ich kann nichts Besonderes erkennen. „Na und? Das besitze ich auch! Damit pinkeln Männer.“
Brenda blickt mich konsterniert an. „Sehen Sie nicht das Muttermal in Form einer Weinflasche aus Franken. Ihre Tote ist der vor zwei Jahren entführte und seitdem verschwundene 22jährige Milliardärssohn Konstantin Bäcker.“

Ein hoher Signalton deutet mir, dass es Zeit ist für eine Werbeunterbrechung.
Gott sei Dank ist der Tatort strategisch günstig gelegen: Nur ein paar Meter entfernt von der Quelle der Inspiration, dem allgegenwärtigen Starbucks Coffee Shop.
„Ich brauche eine Tasse Kaffee aus Togo“, befehle ich Rosarot.
„Und für mich mit Karamellsirup“, ergänzt Brenda.
Wir genießen unsere Werbepause.

Mittlerweile ist die Gerichtsmedizinerin fertig mit ihrer Voruntersuchung, der Tote wird abtransportiert. Der weiße Tiger geht mir nicht aus dem Kopf. Es ist meine bisher einzig vernünftige Spur, also winke ich Mammon zu mir. Er ist einer der weltbesten Spezialisten der Animal Forensic und mein persönlicher Freund. „Was hast du über die Raubkatze heraus gefunden?“
„Schnappi ist nur sein Künstlername“, berichtet Mammon. „In Wahrheit heißt er Mohan von Rewa und ist ein Nachkomme von Roy’s Tigerdame Sitarra.“
„Bitte keine Einzelheiten, komm zum Kern!“
Mammon wirft mir einen vernichtenden Blick zu, aber ich muss seine Weitschweifigkeit unterbinden. Immerhin bleiben mir nur insgesamt 50 Minuten Zeit, das Verbrechen aufzuklären. Inklusive Werbepause!
Mein Freund akzeptiert den Zeitdruck. „Nach meinen Recherchen tingelt Mohan momentan mit seinem Besitzer durch die Varietés. Heute Abend ist ein Auftritt im Peppertheater geplant, gleich hier im Einkaufszentrum.“
Er reicht mir das Werbeplakat. Groß werden darauf angekündigt: Schnappi, die reißende Bestie; Samantha, der Welt einzig wahre Schwertschluckerin; Kemo, der Clown, der sie zu Tränen rührt und Jeanette, die Papageiendame.
Ein Adrenalinschub rast durch meinen Körper. „Das ist die entscheidende Spur“, stoße ich gepresst hervor und mache ich mich zu Fuß auf den Weg in die Höhle des Löwen.


                 Dies war eine Leseprobe aus CSI Neuperlach